Ein paar Tage bei den Bauern
Eindrücke unseres Reisenden Uli Vollmer
Unser neues Gemeinschaftsprojekt „Biogas als Alternative für ländliche Haushalte“ zielt auf kriegsverehrte Männer und Frauen mit ihren Familien ab. Ihr tägliches Leben einfacher zu machen und dazu beizutragen, ihren Lebensunterhalt verdienen zu können, ist unser Hauptanliegen.
Es sind Männer und Frauen, die als Schwerverletzte, Verkrüppelte oder mit anderen körperlichen und mentalen Einschränkungen aus dem 1991 endenden Befreiungskampf, dem zwei Jahre andauernden Verteidigungskrieg Ende der 90 er Jahre oder dem jüngsten Abwehrkampf 2020/22 gegen die damalige TPLF-Regierung Äthiopiens zurückgekehrt sind. Nicht wenige davon haben in zwei Kriegen gekämpft.
Die Eritreische Kriegsversehrten-Vereinigung kümmert sich um die Belange und die Unterstützung der Familienmitglieder mit Behinderungen. Die ENWDVA ist unsere Partnerorganisation in Projekten zur Einkommensgenerierung, seien es von uns erfolgreich unterstützte Projekte für Ziegen oder- Schafzucht, Bienenvölkern zur Honiggewinnung oder Werkstätten.
Die Auswahl der „Begünstigten“, die sich für den Aufbau, Betrieb und Erhalt einer Biogasanlage zur Gewinnung von Energie zum Kochen bewerben, läuft nach festgelegten Kriterien ab. Die meisten haben schon mindestes einen der Kurse über Biogas für mittlerweile ca. 300 Interessenten besucht und sind Mitglieder der Vereinigung.
Hauptvoraussetzung für die Eignung sind die körperliche Voraussetzung und aktive Familienmitglieder. Vor allem die Bereitschaft der Frauen, die fast immer die Hauptlast der häuslichen Arbeit tragen. Genügend bewirtschaftetes Land und Zugang zu Wasser sind neben der möglichen Erreichbarkeit mit Fahrzeugen, nötig. Auch die wirtschaftliche Fähigkeit, ihren Eigenanteil einbringen zu können und die Rate des Mikrokredits aufzubringen, gehören dazu.
Während meiner Projektreise für das EHD Anfang November 24 hatte ich die Möglichkeit, als Mitinitiator des Pilotprojektes Biogas, bei Besuchen der zur Auswahl stehen Landwirte dabei zu sein.
Am ersten Tag fahren wir zu einem Hof unweit der Hauptstadt, zum Dorf Serejeka gehörend. Teklehaimanot erwartet uns schon und stellt uns seiner Frau Lettense und ihren erwachsenen Kindern Yonathan und Helen vor. Die andere drei der Familie sind noch in der Schule. Auf 35 ar werden Kartoffeln, Weizen, Roggen, Bohnen und Erbsen angebaut. Gezo zum Brauen des lokalen Bieres Sua steht dazwischen und bringt auf dem Markt für 1kg 100 Nacfa (ca.16.-€) ein. Teff als Grundnahrungsmittel kaufen sie ein, weil sich das wegen des rauen lokalen Klimas nicht lohnen würde.
Zum Bauernhof gehören noch 6 Kühe, 2 Kälber, 6 Esel und 50 Hühner. Vom Dach der Stallungen wird Regenwasser in einer Zisterne gesammelt und dient zur Bewässerung und zukünftig auch zum Mischen des Substrats für die Biogasanlage. Diese Familie erfüllt alle Voraussetzungen und wir können einen der kommenden Tage für den Aufbau einer Anlage festlegen.
Tags darauf werden wir von “Quattro”, Fahrer der Organisation, in einem geländegängigen Pickup nach Mendefera, der Hauptstadt der Provinz Debub, gefahren, und holen dort den Geschäftsführer der Südregion ENWDVA, Herrn Woldesgi, ab. Er wird zukünftig Mittelsmann zu unseren potenziellen „Kunden“ in dieser Region sein. Auf nicht ganz einfach zu fahrenden Straßen geht es weiter nach Adelges, einem kleinen Ort kurz vor Adi Kwala, was grenznah zu Äthiopien liegt. Der Hof von Samuel Handemichael liegt direkt an der Straße und umfasst ein Gelände von etwa 600 qm.
Hier baut die 5- köpfige Familie vorwiegend Mais an. Der Mist von 2 Kühen und 3 Eseln wären täglich gerade mal 3 Eimer voll, sie könnten aber den anfallenden Tier Dung der Nachbarn zur Befüllung des Fermenters mitverwenden, erklärt uns die Bauersfrau. Nach Besichtigung der Wasserquelle haben wir noch ein ordentliches Pensum an Besuchen vor uns und verabschieden uns, nicht bevor der beinamputierte Samuel mit seinen Krücken behände über eine Steinmauer springt und uns einen Korb voll reifem Mais mitgibt.
Zum nächsten Dorf, Adi Kotyo, begleitet uns der Bauer Tesfay Fessehazion, den wir, am Wegesrand wartend, mitgenommen haben. Sein Gehöft liegt inmitten eines dichtbewachsenen, schwer zugänglichen Hügels, 900qm groß, mit Maisanbau und Wasserzugang. Die 7-köpfige Familie, einschließlich Oma, hat 2 Ochsen, 12 Schafe und 2 Esel. Verwandtschaft nebenan kann zur Menge des täglich zur Verfügung stehenden Dungs beitragen.
Die Familie des am Bein verletzten Tesfay wünscht sich sehnlichst, in das Programm mit aufgenommen zu werden, um nicht mehr vom mühsamen Sammeln von Bruchholz abhängig zu sein, denn das Sägen von Bäumen ist verboten.
Wir legen auf unserer Tour eine kleine Pause ein und machen Rast in einer Herberge in Adi Kwala, essen Fuul zum späten Frühstück und erfahren, daß der Besitzer ein ehemaliger behinderter Obdachloser ist, der durch die Hilfe der Kriegsversehrtenorganisation die Chance seines Lebens ergriffen hat und an einem Mikrokreditprogramm „Marktstand“ teilgenommen hat. Mit seinem Verdienst konnte er sich die Taverne leisten.
Weitere Anlaufstellen an diesem Tag sind Hazhaz und Tenabuk. Wir finden auch hier ähnliche Verhältnisse vor- kinderreiche Familien mit ein paar Tieren und ein bißchen Land – was für den Betrieb einer kleinen Biogasanlage zum Kochen ausreicht. Nach etwas Skepsis sind es die Frauen, die sich nach dem Gespräch dafür begeistern, weil sie die Hauptnutznießer der neuen Technologie sein können.
Wir bewegen uns auf schwer zu befahrendem Untergrund zum Dörfchen Adi Begio, das sich an die Spitze des felsigen Hochplateaus krallt. Von hier aus reicht die Sicht bis ins weite Tal des Grenzflusses Mereb Richtung Tigray. Auf dem Anwesen von Ogbamichael Woldai sind nur seine älteste Tochter und zwei Söhne mitsamt dem Hofhund, der uns nervös verbellt, da. Die Familie mit 5 Kindern hat mehrere Tiere: 4 Kühe, 8 Ochsen und 2 Esel, manche davon vom Bruder. Das Feld liegt direkt hinter dem Wohnhaus mit extra Küche. Der Wasserzugang ist zwar einen halben Kilometer entfernt, sei aber kein Problem, sie haben vor, eine Zisterne zu bauen.
Auf über 2000 Metern Höhe holpern wir mit unsrem gelände-gängigen Toyota in das gefühlt ewig weit entfernte Dorf Adi Anfi. Zu Tesfagherghis und Sahra, die uns gleich mit auf dem offenen Feuer gerösteten Maiskolben empfängt. Die beiden haben 6 Kinder. 2 Kühe, 2 Ochsen und einen Esel sehen wir auf dem kleinen Hof. 4 Hühner gackern auch noch lauthals herum. Auf 400qm Land steht der Mais mannshoch. Die alte Küche würden sie umsetzen, näher ans Wohngebäude, wegen der Gasleitung vom Fermenter der Biogasanlage.
Es ist schon spät und der Weg nach Hause zu beschwerlich und gefährlich wegen dem schwachen Licht des Fahrzeugs. Wir beschließen, wenigstens nach Mendefera zurückzufahren und im Luna Hotel zu nächtigen, um am nächsten Morgen einer weiteren Familie einen Besuch abzustatten. Vorbei am riesigen strategischen Staudamm Gergera fahren wir auf breiter roter Piste Dekemhare entgegen. Wir wollen ins vermeintlich nah gelegene Dorf Gura, was aber wegen des unbefahrbaren Weges nicht möglich ist. Auch der große Umweg über Mai Aini erweist sich als nicht machbar, wir bleiben fast stecken. Wohl oder übel brechen wir unsere Suche nach einer Fährte ab und machen uns auf den Weg ins über 100 km entfernte Asmara.